Sinnesbildung durch sinnliche Bildung
Wenn wir uns heute über Bildung unterhalten, so müssen wir feststellen, dass die Mehrzahl moderner Bildungs- wie auch die daraus resultierenden Lebensstile nicht ausbalanciert, sondern durch eindimensionale und eintönige Lern- und Tätigkeitsformen gekennzeichnet ist. Selten ereignen sich Lernprozesse auf mehreren Sinnesebenen zugleich, ebenso selten umfassen Berufsbilder sowohl körperliche als auch geistige Arbeit. Dabei bestätigt doch die Forschung, dass Kreativität dann wahrscheinlich wird, wenn viele Einflüsse aus möglichst diversen Quellen zu einem Ganzen synthetisiert werden.Auf dieser Überzeugung basieren sowohl unser alltägliches Handeln in Château d’Orion gemäß dem Kopf&Hand-Prinzip als auch die Denkwochen, welche Begegnungen zwischen verschiedenen Menschen und Disziplinen schaffen. Wenn geistige Arbeit durch körperliche erprobt wird (und umgekehrt!), wird das Wirken auf eine andere Reflexionsebene gebracht – wenn Sinnesbildung durch sinnliche Bildung erfolgt, schärft dies die Sinne für Sinnfremdes und Nicht-Gewusstes. Eine Reintegration von Arbeitsformen könnte jene Probleme lösen, welche durch Kontaktverluste im Zuge der Digitalisierung und der Algorithmisierung entstanden sind, und zwar mithilfe der sinnlichen Überlegenheit des Menschen gegenüber der Maschinen. Nur wenn wir durch sinnigere (Aus-)Bildungsformen zum selbst Denken befähigt werden und die Tragweite unseres Handelns erkennen, können wir Lösungen auf komplexe, undisziplinierte Probleme der Zukunft finden.Bildungseinrichtungen und –konzepte müssen ermutigen, nicht ersticken, müssen Fragen entwickeln und nicht nur Antworten geben, müssen Unwissen (an-)erkennen und daraus Wissen generieren. Vom 24.07. - 30.07.2016 wird Stephan A. Jansen sich im Rahmen einer Denkwoche zum Thema „Sinnliche Bildung – Sieben Tage für alle, die ihre sieben Sinne beieinander haben und weiter selberlernen wollen“ mit der Zukunft der Bildung auseinandersetzen. Gegenwärtige „Katastrophen zeigen die Durchgängigkeit der Brüchigkeit unserer Gesellschaft, die Kontinuität der diskontinuierlichen Evolution und damit die Notwendigkeit des mutigen Umgangs in der Demut vor Desastern. [...] Es bedarf mehr Multidisziplinarität und Ungerichtetheit in der Suche, damit man Überraschendes wie Selbstverständliches noch finden kann“, schrieb Jansen 2010 in der taz. Als Mitdenker bringt Stephan A. Jansen, der für eine sinnlichere Bildung plädiert, eigene differenzierte Erfahrungen im Aufbau von Bildungseinrichtungen und der Beratertätigkeit für Politik und Bildungsinstitutionen mit, sowie ein entstehendes Buchmanuskript, diskutable Thesen, sinnstiftende Beispiele und betörende Texte.Darunter Jacques Rancières Buch „Der unwissende Lehrmeister“, in dem zunächst die eigentliche Gleichheit aller Intelligenzen vorausgesetzt wird, welche nicht zuletzt dem allgemeinen Zugang zu Wissen über das Internet geschuldet ist. Das herkömmliche Bildungssystem, das zwischen Lehrendem und untergeordnetem Schüler unterscheidet, ist als Konsequenz dessen unzweckmäßig und unbrauchbar, weil es die Distanz zwischen dem Wissen und Unwissen sowie die Überlegenheit des Lehrers gegenüber dem Schüler institutionalisiert und nur noch verstärkt. Rancière stellt die Notwendigkeit eines Wissensgefälles zwischen Lehrendem und Lernendem infrage. Das Wie des Lehrens ist ihm wichtiger als das Was. Lernt der Schüler nur die Dinge, die der Lehrer weiß, so ist seine Bildung begrenzt auf dessen bestehendes Wissen. Gibt der Lehrer ihm aber die Werkzeuge an die Hand, selbst zu lernen und sich Wissen und Fähigkeiten selbst anzueignen, so eröffnet sich ihm ein unerschöpflicher, potenzieller Wissenshorizont.„Bildung ist nie nur ein Produkt, sondern eine sich selbst verstärkende Anregung zum individuellen Verständnis von Welt“, weiß auch Jansen. Und gerade darin liegt die Chance auf eine Bildung mit Zukunft für eine sinnvolle Zukunftsbildung.